EINSAM UND ALLEIN? von Melina Schwendler

EINSAM UND ALLEIN? von Melina Schwendler

Einsam und allein?

Als sie erwachte, lag sie in einem ihr unbekannten Bett. Ihre gesamte Umwelt war ihr komplett fremd. Ob sie sich im 21. oder im 12. Jahrhundert befand, konnte sie nicht mit Gewissheit sagen. Der Raum war warm und stickig, die Wände ledrig und der Boden sandig. Dies war kein Haus. Aber was war es dann?

Die Decke des Bettes war vertraut und fremd zugleich. Es war Fell, das wusste sie. Könnte es Pferd sein? Beim weiteren Ertasten ihrer Umgebung stieß sie auf eine klebrige Substanz auf dem Bett. Da nur wenig Licht durch den Vorhang, welcher als Tür diente, ins Innere gelangte, konnte sie keine Farbe ausmachen. Als sie etwas von der Flüssigkeit zwischen ihre Finger nahm und verteilte, traf es sie schlagartig: die Flüssigkeit war rot. Ein dunkles Rot, welches sie nur wenige Male zuvor gesehen hatte. Diese Farbe und Konsistenz passten nur zu einer Sache: Blut. Erschrocken sprang sie auf, ließ das Bett voller Blut hinter sich und stürmte nach draußen.

Die Sonne außerhalb des Raumes blendete so stark, dass ihre Augen einige Momente brauchten, um sich nach der Dunkelheit an die veränderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen.  Obwohl ihre Augen von dem hellen Licht brannten, blickte sie umher. Die gesamte Welt war in einen orange-gelben Farbton getaucht. Die einzige andere Farbe war ein matschiges Grün, welches zu den Kakteen in der Ferne gehörte.

Wüste. Sie war in einer Wüste. Der Raum, in welchem sie sich zuvor befunden hatte, war nichts weiter als ein Zelt. Ein Zelt, groß genug, um zwei, vielleicht sogar drei Personen Unterschlupf zu bieten. Die Außenwände bestanden aus Tierleder, welche mit gelben Nähten zusammenhielten. Das gesamte Dorf war voll dieser Zelte, aber nirgendwo war auch nur eine Menschenseele zu sehen. Sie war alleine.

Die heiße brennende Wüstensonne und die trockene Luft forderten ihren Tribut. Ihr Hals fühlte sich trockener an als der Boden, auf dem sie stand. Verzweifelt auf der Suche nach trinkbarem Wasser, stolperte sie durch die Gegend. Vorbei an Zelten, Zäunen und stacheligen vertrockneten Pflanzen. In der Ferne sah sie die Reflektion der Sonne in einem Trog. Endlich, Wasser!

Ohne nachzudenken fiel sie vor dem Trog auf die Knie und trank. Sie trank so viel sie nur trinken konnte. Als ihr Durst endlich gestillt war, lehnte sie sich atemlos an einen Pfosten, welcher zur Umzäunung einer Koppel gehörte. Hier standen anscheinend die Pferde, bevor aus ihnen Zelte und Decken gefertigt wurden. Als sie langsam wieder zu Atem kam und sich ihr Herzschlag normalisierte, nahm sie sich einen Moment, um ihre Reflektion auf der Wasseroberfläche zu beobachten. Hellblondes Haar, blaue Augen, blasse Haut. Ein hübsches Gesicht. Ihre Lippen waren rot, jedoch zu Rot, um natürlich zu sein. Ihr gesamtes Kinn war mit roten Streifen versehen. War das mehr Blut? Hatte sie Blut getrunken? Was war gestern passiert?

„Emilia? Emilia Clarke? Ah Ms. Clarke, da sind Sie ja endlich!“ Verwirrt schaute das Mädchen hoch und sah eine Frau, welche aus der Richtung des Hügels östlich von ihr kam. Diese sah sie fragend an. Was ist eine Clarke?

 „Ms. Clarke, geht es Ihnen gut? Ms. Clarke?“ Fragend blickte die Frau das Mädchen an, welche nur verwirrt zurückstarrte. Ihre suchenden Blicke nach anderen Menschen blieben jedoch ohne Erfolg. Traurig stellte sie fest, dass das Dorf immer noch leer und einsam war. Auch in Richtung des Hügels, woher die Frau kam, konnte sie niemanden erkennen.

Nach langer Stille antwortete das Mädchen: „Es tut mir leid Ma’am, aber ich weiß nicht wer oder was diese Ms. Clarke sein soll.“ Als sie erkannte, dass dies nicht die erhoffte Antwort war, fuhr sie fort, indem sie der Frau von ihrem Morgen erzählte: dem Aufwachen in einem blutüberströmten Bett ohne Erinnerungen, dem einsamen Dorf voller Zelte und dass sie nicht wusste, wer sie war oder wie sie hier hergekommen ist. Aber als sie ihre Geschichte beendete, war die Frau weder verwirrt noch überrascht. Sie wirkte komplett ruhig, als wäre es alltäglich, dass sie jemanden blutverschmiert und verloren in der Wüste trifft.

„Sie hatten anscheinend einen Blackout.“, murmelte die Frau. „Keine Sorge, aber ich kenne Sie. Ihr Name ist Emilia Clarke. Sie sind eine Schauspielerin. Ich bin Ihre Assistentin. Alles, was Sie hier sehen, ist ein Set. Dieses Blut, von dem Sie erzählten, ist kein echtes Blut. Gestern haben wir eine Szene gefilmt, in welcher Sie ein gesamtes Pferdeherz essen mussten. Da wir Ihnen aber kein echtes anbieten wollten, ließen wir eins aus roten Früchten mit Gelatine machen. Diese rote Flüssigkeit ist also lediglich Saft. Aber nach den Dreharbeiten haben wir Sie verloren. Sie sind einfach wie vom Blitz getroffen losgerannt und wir haben Sie den ganzen Abend gesucht. Anscheinend haben Sie durch die übermäßige Menge an Zucker einen Schock erlitten, weswegen Sie sich an nichts erinnern können. Ich weiß, das wirkt jetzt alles sehr verwirrend und überfordernd. Folgen Sie mir, ich bringe Sie zurück zu Ihrem Wohnwagen. Dort können wir uns nochmal in Ruhe über die gestrigen Ereignisse unterhalten“

Das Mädchen, welches anscheinend Emilia Clarke hieß, stolperte der Frau hinterher. Sie konnte es immer noch kaum fassen. Sie war nicht alleine in der Wüste verloren. Sie war an einem Filmset, mit der gesamten Crew auf der anderen Seite des Hügels.

Während sie der Frau folgte, versuchte sie sich konzentriert an den vorherigen Tag zu erinnern, jetzt wo sie einige Eckdaten besaß. Und tatsächlich: sie erinnerte sich an Personen, die „Action“ und „Cut“ riefen; an dieses große klebrige und unglaublich süße Herz, welches sie essen musste; daran, wie sie nach der Szene voller Energie war und durch das Dorf gerannt und gehüpft war; sogar daran, wie sie sich schlagartig müde fühlte und einfach in das Bett fiel, in welchem sie diesen Morgen erwachte.

Die Unterhaltung im Wohnwagen füllte die letzten kleinen Lücken in ihren Erinnerungen. Es stimmte also. Sie war Emilia Clarke, welche die Figur der Daenerys Targaryen in der Serie „Game of Thrones“ verkörperte. Sie war eine Schauspielerin, welche nur etwas zu viel Zucker intus hatte. Eine so verrückte Sache hätten sich nicht einmal die Autoren der Serie ausdenken können…

Melina Schwendler