„Gegen das Vergessen“ – Angehende Abiturienten des von-Bülow-Gymnasiums auf Studienfahrt in Auschwitz

by Kramss
„Gegen das Vergessen“ – Angehende Abiturienten des von-Bülow-Gymnasiums auf Studienfahrt in Auschwitz

Seit mehreren Jahren gibt es am Neudietendorfer „von-Bülow-Gymnasium“ die „green-apple-week“, eine Projektwoche, die sich mit dem übergeordneten und aktuellen Thema der Nachhaltigkeit beschäftigt. Grundlegend hierfür sind die 17 globalen Ziele der UN für eine bessere Zukunft. Drei dieser Ziele fühlten wir uns besonders verpflichtet: Neben der „hochwertigen Bildung“ sollte es um „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ sowie um „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“ gehen. Während es bei anderen Projektgruppen an unserem Gymnasium eher um produktive Aspekte ging, wollten wir, die 12. Jahrgangsstufe und die somit angehenden Abiturientinnen und Abiturienten den Fokus auf ein alternatives Ziel setzen: der nachhaltigen Beschäftigung mit der Thematik „Auschwitz“. Zugegeben, kein leichtes oder schönes Thema im Vergleich zur Herstellung von Naturkosmetik, dem Robotereinsatz beim Müll Recycling oder dem Bau von Insektenhotels, doch schnell waren sich Schüler und Lehrer einig: Genau das wollen wir machen!

Auschwitz, der Name des größten ehemaligen deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers sorgt auch heute noch für einen kalten Gänsehautmoment, leider im negativen Sinne. Mittlerweile zu einer Gedenkstätte umgebaut besuchen jedes Jahr Millionen von Besuchern diesen Ort im Südosten Polens, sich selbst ein Bild der unmenschlichen Taten der Nazis zu machen und den Opfern zu gedenken.

Die organisatorische Planung sowie die inhaltliche Vorbereitung der Studienfahrt begannen bereits im alten Schuljahr, die Genehmigungen wurden eingeholt und auch die Finanzierung abgesichert. Und so machten wir uns am Montag, d. 19. September 2022 auf den Weg nach Polen. Krakau und das ca. eine Fahrstunde entfernte Oświęcim (so der heutige polnische Name für Auschwitz) erreichten wir nach einer Busfahrt von ca. 10 Stunden. Wir hatten uns entschieden, ein Hostel in Krakau zu beziehen und an zwei Tagen zur Gedenkstätte Auschwitz zu fahren. So hatten wir die Möglichkeit, sowohl die alte polnische Königsstadt Krakau mit dem jüdischen Viertel als auch die Ausstellung in der ehemaligen Schindlerfabrik „Emalia“ zu besuchen.

Am darauffolgenden Tag ging es frühmorgen los, da wir eine der ersten Führungen durch „Auschwitz I.“, dem sog. Stammlager gebucht hatten. Es war ein beklemmendes Gefühl, das Lager durch den Torbogen mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ zu betreten. Frau Glowa, unser Guide führte uns nun über das Gelände und durch die Baracken, die allesamt noch relativ gut erhalten sind. Besonders ergreifend waren hierbei die Ausstellungen mit den Habseligkeiten der Opfer: Koffer, Schuhe, Fotos aber auch Prothesen sollten an die eigentlichen Besitzer erinnern. Den wohl berührendsten Moment bildete der Raum mit menschlichen Haaren, die hinter Glas ausgestellt waren. Die Nazis hatten den Insassen die Köpfe geschoren, um selbst das menschliche Haar zu verwerten.

In einer weiteren Baracke wurde vor wenigen Jahren eine Ausstellung der internationalen Holocaust Gedenkstätte „Yad Vashem“ (Israel) eröffnet. In den dortigen Räumen werden neben Bild- und Schriftquellen Kinderzeichnungen aus dem Lager gezeigt. Im Zentrum des Erdgeschosses steht hierbei ein Buch mit den bereits ermittelten Namen der Opfer des Holocaust, welches durch Historiker ständig erweitert wird.

Während des ca. vierstündigen Rundgangs durch das Stammlager hörten wir vieles von ehemaligen Häftlingen, ihrem Alltag und der Pein, welcher sie tagtäglich ausgesetzt waren. Zwillingsexperimente sowie menschenverachtende medizinische Versuche an Häftlingen werden bis heute eng mit den Namen Mengele und Clauberg in Verbindung bleiben.

Aber auch Fluchten aus dem Lager wurden von Frau Glowa äußerst anschaulich dargestellt. Überhaupt hatten wir großes Glück mit unserem Guide, einer pensionierten polnischen Lehrerin, die sich zur Aufgabe gemacht hat, auch nach ihrer aktiven Schulzeit über die Geschehnisse in Auschwitz zu berichten.

An weiteren Stationen besichtigten wir das Lagergefängnis, den ehemaligen Häftlingskrankenbau, die Gedenkstelle „Todeswand“ sowie die Gaskammer und das Krematorium. Hier hatten wir die uns bereits bekannte Querverbindung zu unserer Thüringer Landeshauptstadt Erfurt. Ende des vergangenen Schuljahres arbeiteten wir in der Gedenkstätte „Topf & Söhne“ thematisch zur Lieferung von Krematorien und Ofenanlagen in die osteuropäischen Vernichtungsanlagen. Hier nun sollten wir die Anlagen vor Ort sehen.

Im Nachgang dieser ersten Führung war die Stimmung in unserer Schülergruppe, wie nicht anders zu erwarten, ehr gedämpft. In einigen persönlichen Gesprächen wurden einige Nachfragen geklärt und individuelle Empfindungen besprochen, um die Schüler so gut es eben geht, emotional aufzufangen.

Am späten Nachmittag kamen wir wieder in Krakau an, sodass wir pünktlich in der ehemaligen Schindlerfabrik „Emalia“ mit unseren Führungen starten konnten. Bekannt durch Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ (1993) wurde im ehem. Verwaltungsgebäude, welches vor einigen Jahren zu einem Museum umgebaut wurde, die Stadtgeschichte Krakaus als auch die Rettung Hunderter Juden durch Oskar Schindler thematisiert. Der Umgang mit Krakauer Juden während der NS-Herrschaft steht hierbei exemplarisch für das Herren- und Rassedenken der nationalsozialistischen Ideologie.

Der zweite Studientag führte uns in das 1941 zusätzlich errichtete Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, unweit vom Stammlager entfernt. Das markante Torgebäude, durch welches die Züge mit den deportierten Juden einfuhren, war bereits von weitem sichtbar. Jeder erkannte es sofort.

Frau Glowa und ihre Kollegin erwarteten uns bereits und gemeinsam traten wir nun durch genau diesen Eingang. Das Gelände von Birkenau ist ca. 25 mal größer als das Stammlager selbst und auch an dieser Stelle kann man aus heutiger Perspektive nur erahnen, welche Ausmaße der Holocaust hier annahm. Wir begannen mit der Besichtigung verschiedenster Baracken, ursprünglich als Pferdeställe gedacht, wurden sie ab 1941 für die Zusammenpferchung hunderter Häftlinge genutzt und das unter widrigster Bedingungen bei Kälte, Wind und Wetter. In weiteren Baracken wurden die sanitären Einrichtungen gezeigt, wenn man sie denn als solche bezeichnen kann, Privatsphäre gab es nicht, vielmehr die Benutzung im Akkord, wenn es der Aufseher überhaupt zuließ.

Nach einem kurzen Fußweg standen wir an der Rampe, dem Ort, an dem Männer, Frauen und Kinder aus den Viehwaggon herauskamen und von SS-Männern sondiert, bewertet und getrennt wurden. Oftmals wurde hier entschieden, wer sofort sterben sollte oder wer zur Arbeit gezwungen, noch Aufschub bekam. Ein, von einem Nachfahren eines Auschwitz-Überlebenden in Holland gefundener und restaurierter Eisenbahnwaggon steht heute an dieser Stelle, um an Transport und Ankunft der Menschen im Lager zu erinnern.

Von den damaligen Gaskammern und den damit verbundenen Krematorien zeugen heute nur noch Ruinen, sie wurden kurz vor Eintreffen der Roten Armee von den Nazis gesprengt. Wenige Meter entfernt wurde vor einigen Jahren ein Mahnmal errichtet, welches auf Gedenktafeln in den verschiedensten Sprachen an das Grauen erinnert, welches hier vor 80 Jahren stattfand. Im weiteren Verlauf der Führung besichtigten wird die Überreste des Kanada-Lagers, eine Art Effektenlager der ehemaligen Standortverwaltung mit ausgestellten Gegenständen, persönlichen Wertsachen, Kleidungsstücke und Fotos deportierter und ermordeter Juden. Auch an dieser Stelle der Gedenkstätte erfuhren wir vieles über Einzelschicksale jüdischer Häftlinge, welche der Häftlingsnummer ein Gesicht und einen Namen gab.

Nach knapp vier Stunden beendete Frau Glowa auch diese Führung. Mit einigen abschließenden, recht emotionalen Worten bat sie uns, das hier Gesehene und Erlebte sowie die damit verbundenen Empfindungen nie zu vergessen und das Erinnern daran weiterzugeben. Nach dem offiziellen Ende der Führung richtete sie nochmals einige Worte an uns: neben dem Schrecken des Holocaust und unseren Erlebnissen in den Gedenkstätten auch ein Auge auf das gegenwärtige Polen zu haben, uns die Schönheit Krakaus zu vergegenwärtigen und auch mit positiven und schönen Momenten den Heimweg anzutreten. Versprochen, das sollten wir tun!

Zurück in Krakau hatten wir die Möglichkeit, mit einer App einen virtuellen Stadtrundgang zu starten, einige Schüler entschieden sich jedoch dazu, auf eigene Faust loszuziehen. So wurde das „Collegium Maius“ der Jagiellonen-Universität, einer der ältesten Hochschulen Europas, mit dem bekannten Innenhof besucht. Bereits Kopernikus und Karol Wojtyla, der spätere Papst Johannes Paul II. studierten hier. Unweit des Hauptgebäudes stehen auf dem Rynek Główny, dem Hauptmarkt der nach Warschau zweitgrößten Stadt Polens, die bekanntesten Gebäude der Stadt, die Marienkirche und die Tuchhallen, Zeugnisse des spätmittelalterlichen Reichtums der Stadt an der Handelsstraße von Danzig nach Rom. Den Abschluss unserer kleinen Krakau-Tour bildete die Umrundung der Wawelburg, dem Stammsitz der ehemaligen polnischen Könige, und natürlich der Besuch im jüdischen Viertel, mit all seinen kulinarischen Köstlichkeiten.

Ein abschließendes Fazit zu ziehen fällt in diesem Fall recht leicht. Ja, diese Studienfahrt hat sich gelohnt. Die hier gewonnenen Erkenntnisse und Empfindungen können niemals auf eine ähnliche emotionale Art und Weise im Unterricht gewonnen werden, allenfalls thematisch angekratzt, da waren sich alle einig. Privat würden einen solchen Besuch wohl die wenigsten Schüler bzw. Familien auf ihre Urlaubsagenda setzen, von daher ist eine Studienfahrt im schulischen Kontext die wohl beste Lösung. Einige unserer Schüler waren sogar der Meinung, dass eine jede deutsche Schülerin bzw. ein jeder deutscher Schüler einmal hierherkommen sollten.

Und ja, auch die Stadt Krakau ist definitiv eine Reise wert. Viele Vorurteile über Polen konnten in diesen Tagen revidiert werden. Es bleibt zu hoffen und zu wünschen, das die hier vor Ort erlangten Erkenntnisse dazu beitragen werden, dass die Geschehnisse des Holocaust, ob in Auschwitz, Buchenwald, Sobibor oder an anderen Orten des Schreckens niemals in Vergessenheit geraten dürfen und so etwas NIE WIEDER geschieht.

P.S. Zurück zum Thema Nachhaltigkeit. Bereits einen Tag nach unserer Ankunft zurück in Deutschland fand an unserem Gymnasium ein „Tag der offenen Tür“ statt, an welchem die Arbeitsergebnisse der eingangs erwähnten Projektwoche präsentiert werden sollten. Unnötig zu erwähnen, dass auch unsere Studienfahrt hier vertreten war und Ergebnisse und Inhalte mit Fotos, Anschauungsmaterial und weiterführenden Medien vorstellte. Auch die auf der Rückfahrt formulierten individuellen Eindrücke und Empfindungen wurden zum Lesen ausgehangen und mit interessierten Besuchern diskutiert.

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